Bern, 19.1.2024 – Die Version der Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N) zur Umsetzung der Volksinitiative «Kinder ohne Tabak» im Tabakproduktegesetz ist in mehreren Punkten verfassungswidrig. Besonders stossend ist, dass sogar noch mehr Tabakwerbung erlaubt wäre als im unzureichenden Gesetz von 2021. Damit missachtet die SGK-N den Willen von Volk und Ständen. Nun muss der Nationalrat korrigierend eingreifen.
Tabakwerbung, Werbung für E-Zigaretten und andere neue Nikotinprodukte darf Kinder und Jugendliche nicht erreichen. Das haben Volk und Stände mit dem Ja zur Volksinitiative «Kinder ohne Tabak» im Februar 2022 deutlich beschlossen. Das Tabakproduktegesetz muss entsprechend angepasst werden. Doch die SGK-N will die verfassungswidrige Version des Ständerates nicht korrigieren: “Volksentscheide müssen in unserer Demokratie Konsequenzen haben. Es ist absolut inakzeptabel, dass die Gesundheitskommission einem so klaren Verfassungstext die Umsetzung verweigert,” kommentiert Dr. med. Philippe Luchsinger, Präsident der Haus- und Kinderärzte Schweiz und Vorstandsmitglied des Vereins «Kinder ohne Tabak», den Entscheid.
Keine diffusen Ausnahmen bei Werbung und Sponsoring
Kein Verständnis hat die Trägerschaft der Initiative für den Antrag der SGK-N, nicht genauer definierte Ausnahmen für Werbung und Sponsoring zuzulassen, wenn Minderjährige anwesend sind. Die bewusst diffuse Formulierung öffnet der Industrie Tür und Tor, den Verfassungsartikel vollends nach Lust und Laune auszuhebeln.
Verkaufsförderung im öffentlichen Raum ist Werbung
Die SGK-N will mobiles Verkaufspersonal an öffentlichen Orten, an denen sich Minderjährige aufhalten, von der angenommenen Volksinitiative ausnehmen. Verkaufsförderung (engl. Sales Promotion) ist eine der wirkungsvollsten Formen von Werbung. Damit ist die Streichung des vom Bundesrat vorgeschlagenen Artikels 19. Abs. 1 Bst. c verfassungswidrig. Denn der Verfassungstext lässt hier keine Zweifel offen: Die Bestimmung muss “jede Art von Werbung, die Minderjährige erreicht” umfassen – folglich auch die Verkaufsförderung im öffentlichen Raum.
Bei den Printmedien wieder zurück auf Feld eins
Der Vorschlag der Gesundheitskommission greift auf die wirkungslose Selbstregulierung der Tabakindustrie zurück: Werbung soll in Presseerzeugnissen zugelassen bleiben, die “mehrheitlich an erwachsene Abonnenten verkauft werden”. Mit dieser Formulierung bleibt Werbung weiterhin möglich, trotz zehntausender minderjähriger Leser.
Unzulässige Lockerung bei Festivals
Verfassungswidrig ist auch der Antrag der SGK-N, die von der Tabak- oder E-Zigaretten- Industrie gesponserten VIP-Zonen für Erwachsene beizubehalten: Auch wenn Minderjährige zu diesen Zonen keinen Zutritt haben, entsteht durch das Sponsoring ein klarer Werbe- Effekt. Solange sich Minderjährige an Festivals oder anderen Veranstaltungen auf dem Gelände aufhalten, soll Sponsoring deshalb nicht erlaubt sein. Nur so kann der Volkswille respektiert werden.
Jugendliche konsumieren Zigarillos
Nebst massiven Verschlechterungen hat die SGK-N eine minimale Korrektur mit der vorgeschlagenen Version des Bundesrates für Zigarillos und Zigarren vorgeschlagen. Der Konsum nimmt bei Jugendlichen - wohl aufgrund der neuen Geschmacksrichtungen – zu: Nach einer repräsentativen Befragung der Aargauer Gymnasiasten und Berufsschüler haben 8 Prozent der 15- bis 17-Jährigen innerhalb des letzten Monats Zigarillos oder Zigarren geraucht (1). Es ist deshalb nur gut und recht, dass die Kommission in der Gesetzesvorlage für Zigarren und Zigarillos keine Ausnahme machen will.
Rückschritt der SGK-N gefährdet die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Das Parlament hat 2021 das Tabakproduktegesetz angenommen. Folgt der Nationalrat seiner Gesundheitskommission(!), werden einzelne Bestimmungen zu Werbung und Sponsoring schwächer sein, als im schwachen Gesetz von 2021, das der Auslöser für die Volksinitiative war. In der Folge werden gewisse Einschränkungen nie oder – kaum noch als solche erkennbar – frühestens in zwei, drei Jahren in Kraft treten. Eine lange Zeit, in der Kinder und Jugendliche weiterhin täglich mit offensiver Werbung für Tabak- und Nikotinprodukten in Kontakt kommen.
Nikotinkonsum von Jugendlichen gestiegen: Nationalrat muss handeln
Der Nikotinkonsum von Jugendlichen ist massiv angestiegen. Die gesamtschweizerische Schülerstudie “Health Behaviour in School-aged Children” 2022 zeigt, dass rund ein Drittel der 15-Jährigen in den 30 Tagen vor der Befragung mindestens ein Nikotinprodukt konsumiert hat (2). Kommen Kinder und Jugendliche mit Tabakwerbung in Kontakt, beginnen sie häufiger mit dem Rauchen. Deshalb ist es zwingend, den Schutz der Kinder und Jugendlichen nach Annahme durch das Volk nun auch im Gesetz konsequent umzusetzen. Der Bundesrat präsentierte dem Parlament dazu einen Vorschlag ohne Schlupflöcher. Das Initiativkomitee erwartet, dass der Nationalrat sich in der Frühjahrssession darauf besinnt und den Anträgen der SGK-N in den genannten Punkten nicht folgt.
Kontakt
- Hans Stöckli, Präsident des Trägervereins, hans.stoeckli52@bluewin.ch, 079 770 83 58
- Reto Wiesli, Sekretär des Trägervereins, reto.wiesli@hausaerzteschweiz.ch, 031 508 36 10
- Sandra Hügli, mfe - Haus- und Kinderärzte Schweiz, sandra.huegli@hausaerzteschweiz.ch, 078 920 24 05
- Markus Ossola, Krebsliga Schweiz, markus.ossola@krebsliga.ch, 031 389 93 17
- Claudia Künzli, Lungenliga Schweiz, c.kuenzli@lung.ch, 031 378 20 57
- Markus Meury, Sucht Schweiz, mmeury@suchtschweiz.ch, 021 321 29 63
Trägerschaft der Volksinitiative
Hinter der Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung » stehen die grossen Gesundheitsorganisationen der Schweiz. Dies sind insbesondere die Krebsliga, die Lungenliga, mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz, die Stiftung Sucht Schweiz, die FMH, die Allianz Gesunde Schweiz, der Schweizerische Drogistenverband, der Schweizerische Apothekerverband pharmaSuisse, Pädiatrie Schweiz, die Lungenfachärzte sowie die Kardiologen. Hinzu kommen die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände und das Blaue Kreuz. Auch Swiss Olympic, der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz mit seinem welschen Pendant SER und das Kollegium für Hausarztmedizin haben sich der Initiative angeschlossen.
(1) https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpubh.2023.1076217/full
(2) https://www.suchtschweiz.ch/publication/consommation-de-substances-psychoactives-resultats-etudehbsc-2022/